Schillers „Räubersachen“auf der Bühne des Gymnasiums bei St. Michael

Schillers „Die Räuber“, beworben auf dem Ankündigungsplakat mit dem von Schülergenerationen verhassten gelben Reclam-Heft, das soll ein interessanter Theaterabend werden? Welch Frage! Der „kleinen“ und der „großen“ Theater-AG des Gymnasiums gelang es Klassik mit Moderne zu vereinen. Unter der Regie von Annika Völk und Hannah Nicolas entwickelten die Akteure ein gemeinsames Stück. Inspiriert von dem Schiller’schen Original und Astrid Lindgrens „Ronja Räubertochter“ brachten über 20 Mitwirkende ein großartiges Schauspiel in „acht Räubersachen“ auf die Bühne.

Die Kleineren der Truppe spielten die zwei verfeindeten Räuberbanden in den wilden, von Trollen und Gnomen besiedelten Wäldern. Eine einfache und dennoch beeindruckende Kulisse aus Umzugskartons mit der Aufschrift „Räuberpack“ und selbst kreierten Räuberkostümen ließen die Zuschauer in die unheimliche Atmosphäre eintauchen. Anna Knack und Jemima Renke überzeugten durch ihre Sprachgewandtheit und ihre schauspielerische Leistung und sehr guter Textsicherheit als Räuberkinder. Die Schiller’schen Räuber (Viola Olbrich, Laura Dambach, Walter Oestreich, Minou Kluger) in schwarzen Kapuzenpullis mit gelber Rückenaufschrift „Räuber“ wurden von der Mittel- und Oberstufen AG verkörpert.
Bereits im Prolog wird dem literarisch Bewandten das Thema ersichtlich. Karl von Moor, hervorragend überzeugend gespielt von Viola Olbrich, wartet auf den Postboten, der den so dringend ersehnten Brief seines Vaters bringen soll, der es ihm erlaubt, nach seinen wilden Jahren wieder in den Schoß der Familie aufgenommen zu werden. Natürlich weiß der lektüresichere Zuschauer, dass dieser Brief nicht kommt, weil der daheimgebliebene Bruder Franz (Minou Kluger) Intrigen spinnt, um alleiniger Herrscher im Schloss der Moors zu werden. So nimmt die Handlung ihren Fortgang. Doch keineswegs folgt nun ein typisches Schillerdrama, bei dem man ewig langen Monologen und Dialogen in einer unverständlichen aus der Mode geratenen Sprache folgen muss. Gegenteiliges ist der Fall.
Es folgen Szenen, die die Wut Karl Moors auf den intriganten Brief seines Bruders Franz zeigen. Rasend vor Ärger und Enttäuschung entwickelt dieser Hassreden auf alles, auf jeden, auf die ganze Welt. Ein Echo (von der Tribüne herab zu hören) bringt seinen ganzen Frust zum Ausdruck, verdeutlicht seinen inneren Zustand und stellt einen Bezug zur realen Lebenswelt her: „Wenn du betrogen wirst, wenn du zurückgewiesen wirst! Wenn du gedemütigt wirst! Wenn der Lehrer die Noten laut vorliest. Ich weiß eh, dass ich wieder versagt habe!“ Aus dieser Wut heraus werden die Räuberkinder von der Moor`schen Bande gekidnappt und mit Sturmhauben in Requisitenräuber verwandelt. Hier stoßen die beiden Handlungen in ein Geflecht zusammen und in einer weiteren hervorragend inszenierten Szene rückt Amalia (Laura Dambach) in den Mittelpunkt, in der ebenfalls ihr Inneres nach außen gekehrt wird. Von Frauen scheint Schiller wenig verstanden zu haben, laut Amalia, denn es gibt nur eine Frau im ganzen Stück und diese habe „eine lächerliche Frauenrolle“, die jeglichen „Gleichberechtigkeitsanspruch“ missachtet. Ein Video wird eingespielt, das „Amalias Baustelle“ zeigt, gedreht auf der Baustelle in den Gerüsten des in der Sanierung sich befindenden Gymnasiums: Amalia, die Ersatztochter des alten Moors, Spielball zwischen den zwei Brüdern, auf deren Empfindungen niemand Rücksicht nimmt. Untermalt wird diese Szene eindrucksvoll mit Live-Musik auf dem Flügel von Anna-Sophie Bergmann.
Und Franz (Minou Kluger) erhält eine Szene, die sein hinterhältiges, von Hass erfülltes Wesen zeigt, die die Zuschauer erschauern lässt. Und der alte Moor – überzeugend von Walter Oestreich gespielt – wird gefesselt mit weiß-rotem Absperrband, was ihn als Marionette von Franz zeigt, weggeführt.
Sollte ein wenig Kundiger bis hier her nicht alles nachvollzogen haben, erhielt der Nichtwissende nun mit einer überaus überzeugenden szenischen Umsetzung die Möglichkeit, die Zusammenhänge im Schnelldurchlauf doch noch verstehen zu können. Die Hauptakteure reißen dazu das gelbe Reclam-Heft aus der Tasche und liefern Originalzitate, dazu Autor, Titel, Verlag, Erscheinungsjahr und Seiten, bis Karl nur noch ruft: „Schiller, Räuber, irgendwo steht`s!“ und sein Buch zu Boden schmeißt.
Vor der Schlussszene nach der Befreiung der beiden Räuberkinder und der Versöhnung der Banden sieht es nach einem Happy End aus. Aber: Es ist eine klassische Tragödie und schlussendlich sterben alle außer Karl. Dieser kommt vor ein weltliches Gericht, die Stimme des Gesetzes tönt: „[…] Das Opfer bist du selbst!“ Seine innere Situation, sein komplett verfehltes Handeln bringt Anna-Sophie Bergmann am Flügel mit ihrem stimmlich hervorragend vorgetragenem Lied „Komplett im Arsch“ von Feine Sahne Fischfilet zum Ausdruck.

Die gesamte Inszenierung – in dieser Besprechung ist es gar nicht möglich, alle Leistungen der Akteure gebührend hervorzuheben – überzeugte in jeder Hinsicht! Wer jetzt aber denkt, die kleinen Zuschauer hätten von dieser Handlung wenig verstehen können, täuscht sich. Ein Achtjähriger „musste“ abends im Bett unbedingt seine „Ronja Räubertochter“ holen und seinem Papa genau die Szenen zeigen, die er auf der Bühne erkannt hatte. So aus verlässlicher Quelle.

Mit großem Applaus und einem herzlichen Dankeschön des Schulleiters Frank Nagel für eine Inszenierung auf sehr hohem Niveau wurden die Mitwirkenden gebührend in den Heimweg entlassen.

(Sabine Heidenreich)