Zusammen mit dem Gymnasium bei St. Michael wirkten Schülerinnen und Schüler des Erasmus-Widmann-Gymnasiums bei der zentralen Gedenkfeier auf dem Schwäbisch Haller Marktplatz mit.
Schon am Nachmittag konnte man die Installation ansehen: Lebensgroße Reproduktionen von Personen jüdischen Glaubens, die durch die nationalsozialistische Schreckensherrschaft verfolgt und vielfach ermordet wurden. Am Abend beleuchtete Mahnmale: „Nie wieder ist jetzt!“ – Erinnern heißt, sich der Verantwortung für heute bewusst werden, in einer Zeit, in der Antisemitismus in unserem Land wieder hoffähig wird.
Oberbürgermeister Daniel Bullinger erinnerte in seiner Gedenkrede daran, dass die Aktionen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zwar von oben zentral geplant und angeregt worden waren, es jedoch vor Ort reale Personen aus der Stadt in die Tat umgesetzt haben. Und er fragte, wie es denn sein könne, dass heute eine Partei gewählt werde, die vom Verfassungsschutz beobachtet werde. Nachdrücklich erinnerte der Oberbürgermeister die Anwesenden an ihre je eigene Verantwortung für unsere Demokratie.
Für den erkrankten evangelischen Dekan Christof Messerschmidt las Pfarrerin Dr. Henrike Frey-Anthes dessen Text: Messerschmidt fragte, wie die friedliche Gemeinschaft zwischen Juden und Christen im Heimatort seiner Großeltern in einem Dorf an der Jagst damals so einfach aufgekündigt werden konnte. Man half sich sonst im Hof aus: Am Sabbat die christlichen Bauern ihren jüdischen Dorfgenossen, am Sonntag die jüdischen Bauern den christlichen Dorfgenossen. Und wie der Großvater sich zeitlebens gefragt hatte, ob er nicht hätte mehr tun müssen.
Pastoralreferent Wolfram Rösch verlas die Daten einer Zugfahrt nach Auschwitz. Sein Großvater habe in Heilbronn bei der Planung solcher Zugfahrten mitgewirkt, er müsse gewusst haben, wo die Züge hinfahren und dass Menschen in Viehwaggons „befördert“ wurden. Er habe mit seinem Großvater aber darüber nicht sprechen können, nach dem Krieg wurde dieser dunkle Teil unserer Geschichte totgeschwiegen.
Dazwischen Musik von Schülerinnen und Schülern. Chorgesang und Saxofon. Und persönliche Geschichten – von Schülerinnen und Schülern zusammengefasst, die die je einzelnen Schicksale in der großen Geschichte sichtbar und lebendig werden ließen. Die Stolpersteine in Hall erinnern heute noch daran. Bereits am Nachmittag gab es eine Führung von Elke Däuber, einer exzellenten Kennerin der Einzelschicksale der ausgegrenzten, teils geflohenen und teils verschleppten und ermordeten jüdischen Einwohnerinnen und Einwohnern Schwäbisch Halls.
Seit Jahren findet eine Gedenkveranstaltung auf dem Schwäbisch Haller Marktplatz statt. Vielleicht durch die Ereignisse in Israel seit dem 7. Oktober, vielleicht durch die 85-jährige WIederkehr der schrecklichen Ereignisse, oder auch weil die Stadt dieses Mal vorbildlich geplant hatte und frühzeitig die Schulen miteingebunden hatte … Jedenfalls waren zahlreiche Haller Bürgerinnen und Bürger der Einladung gefolgt. Bürgermeister Daniel Bullinger hob hervor, dass extra aus diesem Anlass die Israel-Flagge am Rathaus gehisst worden war.
„Nie wieder ist jetzt!“ Gegen jeden Antisemitismus und Ausgrenzung von Menschen, ganz gleich, welche Religion oder welchen kulturellen Hintergrund sie haben. Die Haller Stadtgeselschaft erweist würdevoll ihren Respekt gegenüber allen Menschen, die damals ausgegrenzt wurden und derer, die heute wieder ausgegrenzt werden. Vereint die Haller Gymnasien St. Michael und Erasmus-Widmann-Gymnasium, Schulen, die gegen Rassismus vorgehen und damit Schulen mit Courage sind.
Matthias Imkampe
Lehrtätigkeit am Erasmus-Widmann-Gymnasium (Matthias Imkampe war 20 Jahre Religionslehrer am GSM)