True Colors – Frühlingskonzert am Gymnasium bei St. Michael

Schon beim ersten Lied wippte der Fuß. Über 80 Chormitglieder aus der gesamten Schulgemeinschaft begrüßten mit ihrem ersten Song „Champs Élisées“ das Publikum in der voll besetzten Aula. Mit ihrer offensichtlichen Freude an der eingängigen Melodie und in lupenreinem Französisch gesungen eroberte der Chor (Leitung: Matthias Banasch) gleich zu Beginn die Herzen der Zuhörer. Gängige Schlager wechselten mit souligen Nummern, argentinischem Tango und romantischer Kammermusik. Den Chören und den vier Instrumentalisten gelang es unter dem Motto „True Colors are beautiful like a rainbow“ die Zuhörer in die vielfältige Klangwelt der Musik zu entführen.


Lyrische Ergänzungen zu den musikalischen Vorträgen sorgten für den roten Faden durchs Programm. Schüler der Theater-AG (Leitung: Christine Ammermann) trugen Gedichte von Erich Kästner und Theodor Fontane eindrücklich vor. Musiklehrer Thomas Hartmann unterstützte die Chöre nicht nur am Flügel, sondern auch mit seinen kompositorischen Fähigkeiten.
„Die Entwicklung der Menschheit“ von Erich Kästner, plastisch in Affenmaske von Leandro Stark vorgetragen, ließ die Zuhörer schmunzeln; doch zeigt das Gedicht Kästners Abrechnung mit der vermeintlichen geistigen Weiterentwicklung der Menschheit. Der Unterstufenchor fügte sich mit dem bekannten Lied „Ich bin der König im Affenstaat“ aus der Filmversion des Dschungelbuches mit großem Schwung und Elan an die Thematik an. Beeindruckend, wie die jungen Sängerinnen und Sänger im nächsten Lied nicht nur die unterschiedlichen Tonlagen sauber beherrschten, sondern nun einer ganzen neue Emotion auf der Klaviatur der Gefühle Ausdruck verliehen. In Mike Oldfields „Moonlight Shadow“ stehen Verlust und Tod im Zentrum des Liedes. Angesichts des tief empfunden Schmerzes drängt sich die Frage „Warum?“ in Fontanes Gedicht „Die Frage bleibt“ in den Vordergrund. Ilayda Kohls gefühlvoller und klarer Vortrag bildeten den Abschluss des ersten Teiles der künstlerischen Darbietungen.
Ein weiterer musikalischer Höhepunkt wurde mit der nun folgenden Instrumentalmusik erreicht. Dass Maike Piesker Cello spielen kann, sollte dem musik-interessierten Haller, inzwischen hinlänglich bekannt sein. Die Virtuosität mit der sie, von Kyoko Panther am Klavier begleitet, in David Poppers Polonaise de concert opus 14 „Vivace assai“ die Lagen wechselt, lässt dem Laien dann aber doch den Atem stocken.
Auch Martin Voronkoff zählt zu den besonderen musikalischen Talenten am Gymnasium bei St. Michael. Wie er sein Instrument, das Akkordeon, beherrscht, hat sehr wenig mit den gängigen Quetschkommodenklängen zu tun, die in der Volksmusik zu Hause sind. Der Zehntklässler verführte das Publikum mit Wolfgang Ruß‘ „Bossa Negra“ mit den melancholischen Klängen seines Tangos. Sein „Gypsy Swing“ ließ den Balkan für einen Augenblick hinter den Bühnenvorhängen hervorblitzen.
Bei den letzten Stücken des Instrumentalteiles, Astor Piazzollas „Libertango“ und „Oblivion“, im Quartett dargeboten (Akkordeon, Cello, zwei Mal Klarinette), befeuerten sich Martin Voronkoff und Maike Piesker gegenseitig. Hut ab vor den beiden Klarinettisten (Linda Stettenheim, Tilmann Kraft), die als Bläser Streich- und Tasteninstrument harmonisch ergänzten.
Der Auswahlchor entführte das Publikum anschließend mit John Farrers Discohit „Your’re the one I want“ aus dem Musical „Grease“ in die verliebte rosarote Sphären der Teenagerliebe und in bekannte Musikgefilde. War man als Zuhörer geneigt, beim Pop-Hit „Angels“ von Robbie Williams noch heimlich mitzusummen, war das beim darauf folgenden Soul-Hit „Streetlife“ von Randy Crawford unmöglich, weil das musikalische Arrangement der gegeneinander und aufeinander abgestimmten Frequenzen viel zu komplex zum Mitsummen war – vom Dirigenten Matthias Banasch und seinem Chor jedoch auf wunderbare Weise zu einer stimmigen Melodie verwoben.
Endete das dritte Stück des Chores, „Drive by“ von Train, traurig mit der erneuten Trennung eines Liebespaares, so setzte Cindy Laupers „True Colors“ einen hoffungsvollen Schlusspunkt – in allen Farben des Regenbogens. Der Hit der amerikanischen Sängerin fordert den Zuhörer auf, die Traurigkeit hinter sich zu lassen und sich zum eigenen wahren Wesen und dessen inneren Schönheit zu bekennen, das in allen Farben des Regenbogens leuchtet.
Ilayda Kohl, die dieses Lied anmoderierte, wich vom Redemanuskript ein kleines bisschen ganz spontan ab. Die Schülerin verwies auf den Status des Liedes als Hymne der homosexuellen und Transgender-Bewegung und den Aufruf Laupers, sich eben auch zum eigenen nicht normkonformen Wesen zu bekennen. Dann bricht Ilayda ab, reiht sich in den Chor ein und nun erheben alle ihre Stimme: „True Colors, that‘s what I love you for. Don‘t be afraid.“
Das begeisterte Publikum musste zur Ruhe gebracht werden, denn dieses klatschte schon deutlich vor Ende des Stückes. Und nun konnte die Zugabe gegeben werden, die der Chorleiter bereits in petto hatte. Mit den Worten: „Unser Chor hat sich in den letzten drei Jahren so wunderbar entwickelt, dass ich für heute Abend nur sagen kann: Wer nicht da war, ist selber schuld“, bedankte sich Schulleiter Frank Nagel bei allen Akteuren. Stimmt. Wenn die Jugend an diesem Gymnasium ihre Stimmen erheben, sollten wir ihr zuhören. Es lohnt sich.